Die neue Form des Freiwilligen Wehrdienstes mit dem Schwerpunkt Heimatschutz beginnt 2021 und wird noch zur Herausforderung für die Reserve werden.
Neugierig lauschte ich am 23. Juli 2020 der Pressekonferenz des Bundesministeriums der Verteidigung, wo die Ministerin Kramp-Karrenbauer zusammen mit Staatssekretär Dr. Tauber die neue Initiative mit Ausbildungsbeginn 2021 vorstellt. Mitten in der Krise klang das alles sehr attraktiv: „Gemeinwohlgedanken stärken“, „dezentrale Ausbildung“, „Einsatz in der Heimat“, „Bewerbende im Mittelpunkt“, „vielfältige Aufgaben“ und dann der für mich entscheidende Part: „Eingebettet in die Reserve“1.
7 Monate aktiv + 5 Monate Reserve = 1 Jahr
Ich glaube fest daran, dass in einer Demokratie junge Menschen nicht zum Dienst verpflichtet werden sollten, wenn es sich sicherheitspolitisch vermeiden lässt. Sollte es nötig sein, so sollten sie aber eine sinnvolle Ausbildung sowie Verwendung erwarten können. Derzeit will sich die Bundeswehr aufgrund ihrer Verpflichtungen in Auslandseinsätzen nicht wieder zur Wehrpflichtarmee umorganisieren und daher bleibt es beim freiwilligem Dienst in den Streitkräften. Um einen solchen handelt es sich hier und ich bin von dem dahinterstehenden Gedanken begeistert, dass die staatliche Sicherheitsvorsorge mit dem Fokus Landesverteidigung dabei in den Blick genommen wird. Dafür sollen die Wehrdienst Leistenden zunächst in 7 Monaten als aktive Soldaten ihre Allgemeine Grundausbildung und eine Ausbildung zum Sicherungssoldat erhalten. Anschließend sollen sie die verbliebenen 5 Monate im Rahmen von mehreren kleineren und größeren Reservedienstleistungen über 6 Jahre in einem Beorderungstruppenteil ableisten. Das ist neben der hochwertigen Reserveoffiziersausbildung endlich mal ein attraktives Angebot der Bundeswehr für junge Menschen, das Reserve direkt von Beginn an im Blick hat und im Krisenfall den Aufwuchs unserer Streitkräfte sicherstellt.
Über 6 Jahre in der Reserve
Klasse, dacht ich und dann sprang mein kleines Skeptikerteufelchen mir auf die Schulter: Es säte in mir Zweifel, ob das mal mit den Regionalen Sicherungs- und Unterstützungskompanien (RSUKp) gut gehen wird, die vorrangig der Beorderungstruppenteil sein sollen. Hier sollen junge Menschen 7 Monate lang von aktiven Ausbildern militärisch auf neuesten Ausbildungsstand fit gemacht werden, um danach für 6 Jahre in die Obhut von Einheiten gegeben werden, deren Problem sehr oft ein Mangel an guten Ausbildern ist. Das soll keine Kritik an den RSUKp werden, denn da gibt es sicher solche und solche, aber die neuen Wehrdienstleistenden werden eben nicht nur in die problemfreien Kompanien geschickt werden, sondern gemäß Konzept heimatnah. Ich frage mich, wie das funktionieren soll, wenn die Jungen auf die mehrheitlich eher „lebenserfahrenen“ Kameraden mit unterschiedlichem Ausbildungsstand treffen. Klar, die Mischung kann es gerade gut machen, wenn der Obergefreite dem Oberstabsgefreiten etwas vom neuen Schießausbildungskonzept erzählen kann und er anders herum die ein oder andere interessante Geschichte aus der Wehrpflichtzeit hört, aber eigentlich müsste da halt auch noch ein fitter Hauptfeldwebel sein. Gute Ausbilder stellen nun mal die Achillesferse dar und lassen sich nicht so schnell zaubern, wie die neuen Rekruten. Umso überraschender ist, dass man von den RSU-Kompanien bis jetzt nichts von einer Ausbildungsoffensive für die Ausbilderinnen und Ausbilder hört, die bald die Mannschaftssoldaten auf aktuellsten Ausbildungsstand aus dem neuen Programm weiter ausbilden und führen sollen.
RSUKp wird HSchtzKp, aber dadurch auch besser?
Im Oktober folgt auf der Jahrestagung der Reserve eine weitere positive Nachricht von Dr. Tauber, der verkündet, dass der sperrige Name Regionale Sicherungs- und Unterstützungskompanie (RSUKp) zukünftig durch den eingängigeren Begriff der Heimatschutzkompanie (HSchtzKp) ersetzt wird. Anschließend wird vom Pilotprojekt des Landesregimentes Bayern mit deren Heimatschutzkompanien berichtet, deren Ausbildung nur mit einer erheblichen Unterstützung durch aktives Personal realisiert werden konnte. Da war wieder mein Skeptikerteufelchen: In einem Pilotprojekt, wo man davon ausgehen kann, dass besonders vielversprechende Voraussetzungen vorliegen, konnten die Ausbildung der Reservisten nur durch intensive Betreuung durch aktive Soldaten erfolgen? Wie soll das dann werden, wenn bald hoffnungsvollen jungen Wehrdienstleistenden dort hin und vor allen in all die anderen Heimatschutzkompanien ohne diese besondere Pilotausbildung kommen? Wird dort dann auch die aktive Truppe immer unterstützen?
Immerhin wird auf der Jahrestagung für 2021 auch die Grundbeorderung vorgestellt, wonach alle aus der Bundeswehr ausscheidenden Soldaten oder Soldatinnen dann für 6 Jahre verpflichtend auf einem Dienstposten in der Reserve beordert werden sollen. Über meine Ansicht zu staatlichen Verpflichtungen in einer Demokratie hatte ich eben schon geschrieben, aber hier sehe ich einen berechtigten Bedarf und auch eine große Chance. Beorderung heißt allerdings auch noch nicht, dass die Kameradinnen und Kameraden wirklich in der Reserve erscheinen, denn Üben müssten sie freiwillig. Immerhin hat man ihre Daten und kann sich zielgerichtet um sie bemühen, so dass für die jungen Freiwillig Wehrdienstleistenden aus der „Dein Jahr für Deutschland“-Initiative da noch die Hoffnung auf erfahrene und aktuell qualifizierte Ausbilder besteht.
Zeitlicher Versatz
So leicht lässt sich mein Skeptikerteufelchen aber leider nicht vertreiben, denn er entlarvt meinen Optimismus direkt mit der Vermutung einer zeitlichen Lücke. Wenn im Herbst 2021 erst die ersten Zeitsoldaten grundbeordert werden sollen, dann werden sich diese vermutlich erst einmal um ihre zivile Karriere kümmern müssen und nicht zahlreich direkt bei der Bundeswehr weiter aktiv tätig sein. Zudem werden sie nicht unbedingt in den Heimatschutzkompanien beordert sein, da alle Organisationsbereiche diese gut qualifizierten Soldatinnen und Soldaten bei sich entsprechend ihren Qualifikationen versuchen beordern wollen. Es ist also durchaus anzunehmen, dass es einen deutlichen zeitlicher Versatz zwischen einem möglichen freiwilligen Engagement von ehemaligen Zeitsoldaten in einigen Jahren und den kalkulierbar ab Ende 2021 auftauchenden neuen Wehrdienst Leistenden aus der neuen Initiative in den Heimatschutzkompanien geben wird.
Alle Reservisten könnten unterstützen
„Dein Jahr für Deutschland“ ist da, es ist eine gute Initiative für Deutschland, für die Bundeswehr sowie besonders für die Reserve. Es gibt viele motivierte Bewerber, nachdem was Ministerium und Personalamt der Bundeswehr berichten. Das darf doch jetzt nicht wirklich daran scheitern, dass die Heimatschutzstrukturen der Reserve noch nicht hinreichend darauf vorbereitet sind und damit eine hohe Gefahr der Enttäuschung der jungen Soldatinnen und Soldaten besteht.
Wenn die Heimatschutzkompanien Willens wären, dann sollte jede Reservistin und jeder Reservist der Bundeswehr bei dieser Herausforderung als Ausbilder oder in anderen Funktionen unterstützen. Auch für den Reservistenverband sehe ich hier die einmalige Gelegenheit, seiner Rolle als Organisation aller Reservisten gerecht zu werden und organisatorisch zum Gelingen beizutragen. Jetzt wäre die Zeit sich vorzubereiten, anstatt sich von der absehbaren Entwicklung wieder überrollen zu lassen und dann improvisieren zu müssen, wie es bei der Corona-Krise der Fall war, wo man einen geradezu verzweifelten E-Mail-Aufruf starten musste.
Ich bin gespannt, ob die verantwortlichen Landeskommandos und die Streitkräftebasis bei der Bundeswehr sowie der Verband der Reservisten der Bundeswehr sich dessen so vollends bewusst sind und auch wirklich bereit sind, sich für dieses attraktive Angebot durch, z.B. einen spezifischen Personalaufruf ähnlich dem in der Corona-Krise, verantwortlich zu zeigen. Bisher konnte ich mein Skeptikerteufelchen noch immer wieder vertreiben und hoffe sehr, dass die im April beginnenden Freiwilligen einen sinnvollen Dienst in der Reserve erleben werden. Obwohl ich anderweitig beorderter Reservist bin, würde ich gerne, meinen Beitrag zum Erfolg dieser Initiative leisten, denn „Wir dienen Deutschland“ heißt für mich auch, dass mich „Dein Jahr für Deutschland“ etwas angeht.
Fortsetzung am 27.03.2021: Der Funkkreis-Podcast der Bundeswehr, hat mich zu folgendem Thread zu dem Thema Dein Jahr für Deutschland und Heimatschutz auf Twitter animiert:
1 Schröder: „Dein Jahr für Deutschland“: Freiwillig die Heimat schützen. URL: https://www.bmvg.de/de/aktuelles/-dein-jahr-fuer-deutschland-freiwillig-die-heimat-schuetzen-348578 (23.07.2020)(Zugriff: 26.12.2020)